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Alles, was Sie schon immer über
Bartimäus 1, 2 und 3 wissen wollten

Das Fantasy-Portal "Roter Dorn" im Interview mit Jonathan Stroud

Redakteur Roter Dorn, Wilhelm Drutzel (WD): Jonathan Stroud erweist sich als der auf Neudeutsch superfreundliche Herr, wie es schon seine Fotos vermuten lassen: ein wunderbarer Gesprächspartner, dem es Spaß macht, Fanfragen zu beantworten. Bei Obstspießen und Weihnachtsgebäck kam Mr. Stroud zu der obligatorischen Frage, was ihn eigentlich zum Schreiben der Bartimäus-Trilogie bewegt hat und wie es dazu kam.

Stroud: Eines Tages ging ich vollgepackt mit Einkaufstaschen nach Hause, und es schüttete aus allen Wolken - typisch englisches Wetter, wie er mir augenzwinkernd zu verstehen gab - und da hatte ich die richtige Stimmung. Ich wollte schon immer was mit Zauberern und Magie machen, aber genau an dem Tag hatte ich die Eingabe. Ich setzte mich hin und schrieb in einem Zug das, was heute die ersten vier Kapitel von Das Amulett von Samarkand sind. Ich wollte keinen jungen Zauberlehrling als Helden, und auch keinen altgedienten Magier oder eine Gruppe von Kindern, sondern ich wollte den Dämon, den Dschinn, zum Helden machen.

WD: Und geboren war die Idee zu Bartimäus.

Stroud: Seinen Namen hatte ich sofort. Eigentlich ist es ja ein Name aus der Bibel, und der passte einfach. Er klang alt, gut, geheimnisvoll, und ist nicht so bekannt wie andere biblische Namen. Man konnte ihn abkürzen zu "Bart", "Barty"und so weiter. Außerdem traf er die Gesinnung des Dschinn.

WD: Beim Einwurf, dass es auch Theorien gab, Bartimäus hätte eine Namensähnlichkeit zu Bart Simpson, musste Stroud lachen. Aber er gab zu, dass das eine interessante Theorie wäre.

Stroud: Normalerweise sind Dämonen in Fantasybüchern die Bösen, die Diener böser Zauberer und oftmals brutal und tumb. Nicht so Bartimäus. Der möchte eigentlich nur seine Ruhe haben und ist im Grunde genommen überhaupt nicht böse. Aber dauernd beschworen zu werden geht ihm ziemlich auf die Nerven, und die Magier findet er reichlich lächerlich.

WD: Der Vergleich zu Rowan Atkinsons "Black Adder", dem es ähnlich ergeht, tut sich da schnell auf, wie wir schnell feststellten. Stroud sei ein Fan dieser Serie und viel von Atkinsons Figur, die sich in vier verschiedenen Epochen umzingelt fühlt von...

Idioten., so Stroud.

WD: "...weniger intelligenten Leuten" kann man auf Bartimäus übertragen. Zudem wollte er keinen kraftstrotzenden, allmächtigen Dschinn, sondern etwas, das zwar ein wenig Tricks beherrscht, im Grunde aber zuerst auf seine Intelligenz baut.

Stroud: Jemand, bei dem die alte Leier mit dem Geist aus der Lampe nicht funktioniert. Der kommt nicht aus der Flasche und freut sich, seinem Meister drei Wünsche erfüllen zu dürfen. Oder sich überhaupt freut, überhaupt wieder beschworen zu werden.

WD: Schon gar nicht, wenn ein Zwölfjähriger es schafft, ihn herbeizurufen - Nathanael, der verhinderte Held der Reihe, welcher in "Das Amulett von Samarkand" die verhängnisvolle Meister-Diener-Beziehung zu Bartimäus eingeht.

Stroud: Nathanael ist ja nicht der Held der Reihe, aber er hat seine eigenen großen Momente. Ich wollte, dass er für sein Alter überaus intelligent ist, aber sich immer noch wie ein Kind verhält. Er schafft es schließlich leicht, Bartimäus für seine Zwecke einzuspannen und verhindert auch, dass der Dschinn ihn vorerst reinlegt. Aber im Grunde fühlt er sich von allen zurückgesetzt und missachtet. Sein Meister Underwood erkennt seine Fähigkeiten nicht an, ignoriert sie sogar fast völlig, und dadurch ist er frustriert und will es allen zeigen. Mir war schon klar, dass er anfangs unsympathisch wirkt, aber nach und nach, je näher das Ende des ersten Teils kommt, zeigt er auch seine guten Seiten. Ihn gänzlich zum braven, guten Jungen machen wollte ich ihn dann doch nicht - das wäre ja langweilig.

WD: Gemessen an den älteren Zauberern in der Trilogie ist er sogar noch relativ freundlich.

Stroud: Das stimmt. Ich wollte keine alten Männer mit langen Bärten, bestickten Roben und spitzen Hüten. Sie sollten modern sein, politisch engagiert - und korrupt. Sie leben im Luxus, tragen maßgeschneiderte Anzüge und geben sich modern und gönnerhaft, dabei nutzen sie die Magie für ihre eigenen Zwecke und kontrollieren damit den Rest der Gesellschaft. Und mal unter uns: wenn man so viel Macht durch das Beschwören von Dämonen erlangt, nutzt man das eher zum Guten oder zu seinem eigenen Vorteil? Glücklicherweise vertragen sich die Dämonen mit ihnen nicht so recht und ärgern sie, wo sie nur können. Bei der Magie habe ich mich aus zahlreichen Kulturen bedient. Grundsätzlich sieht es so aus, dass Beschwörung vorherrscht und man mittels den richtigen Befehlen die Dämonen zu ihren Diensten zwingen muss. Das verleiht den Magiern eine gewisse Macht, welche allerdings gefährlich ist und bereits jede Menge Rückschläge erforderte, um nun derart halbwegs kontrolliert zu sein. Wie man anhand von Bartimäus' Fußnoten erkennt, sind die Zauberer auch aus Schaden nicht klug geworden.

WD: So wie Simon Lovelace, der Schurke in "Das Amulett von Samarkand", und auch Arthur Underwood, Nathanaels mittelprächtiger Lehrmeister.

Stroud: Mit Simons Namen hatte ich Probleme. Sein Plan und sein Verhalten waren alles kein Problem. Ich brauchte etwas, das passt. Ich stieß in einem alten englischen Romanschinken, einem richtig dicken Ziegel von Buch, welches von einer durchtriebenen Frau im Mittelalter handelt, auf jemanden mit Namen Lovelace, der genau von dieser bösen Frau verführt wird. Da entschied ich mich, den Schurken Lovelace zu nennen. Anders als die restlichen Magier ist er wirklich bösartig, er sollte aber immer aalglatt und unantastbar sein. Gut, dass Nathanael und Bartimäus auf seine Maskerade nicht reinfallen. Arthur Underwood dagegen sollte der mittelmäßige Magier sein, ungefähr das, was aus Nathanael geworden wäre, hätte ihn sein Meister konsequent weiter an der Entwicklung gehindert.

WD: So also das Setup für den ersten Teil der Trilogie. "Das Amulett von Samarkand" ist zwar der Titel, aber eine so nennenswerte Rolle spielt das Artefakt nicht, soviel sei verraten. Für einen Buchtitel fand Stroud es allerdings sehr wohlklingend, genau wie das derzeit noch nur auf englisch erhältliche "The Golem's Eye", der Fortsetzung. Wer noch auf die deutsche Version wartet und sich nicht die ganze Spannung verderben lassen will, sollte nicht weiterlesen. Aber wie das auch mit Zauberern so ist - das Verbotene reizt doch immer.

In "The Golem's Eye" sind etwas mehr als zweieinhalb Jahre vergangen. Nathanael ist Gehilfe des Innenministers Julius Tallow, und damit ist sein Hauptproblem die Bekämpfung des wachsenden Widerstands aus den normalsterblichen Reihen.

Stroud: Ich wollte nicht das Gleiche machen. Ich habe viel verändert und brachte, nun da wir ein wenig mehr über die Hauptcharaktere wissen, auch mehr Hintergrundwissen über die Welt ein, die sich von unserer dramatisch unterscheidet. Hier führen die sich modern haltenden Londoner Magier Krieg mit der Prager Konkurrenz, die recht altmodisch sind. Diesen Krieg droht das Empire zu verlieren und man steht unter großen Druck. Außerdem erfährt man, dass Amerika immer noch eine britische Kolonie ist, auch wenn es dort zu Aufständen kommt.

WD: Die größte Veränderung aber ist das Einbringen der dritten Hauptfigur, Kitty Jones, einer "Gewöhnlichen" und Mitglied der Widerstandsgruppe. Die erste Hälfte widmet sich ihr deutlich mehr als den beiden anderen "Helden" - angewidert davon, von den Magiern unterdrückt zu werden, will sie es nicht mehr hinnehmen und gerät, ungefähr im gleichen Alter wie Nathanael zu Ruhm und Ehren kam, zur Widerstandsgruppe.

Stroud: Kitty sollte das Trio nicht ergänzen. Drei ist die magische Zahl, und die Machtbalance wird dadurch hergestellt. Nun haben wir zwar alle drei Fraktionen - Magier, (wenig) hilfsbereiter Dschinn und die Normalsterbliche - aber dadurch entsteht keine Harmonie. Im Gegenteil: hatten wir vorher das traditionelle Verhältnis zwischen Meister und (unwilligen, mürrischen, sarkastischen und gewitzten) Diener, so schafft es Kitty, beide ihre Positionen überdenken zu lassen. Sie stellt Nathanaels Weltanschauung infrage, und Bartimäus erinnert sie daran, dass er doch nur ein Sklave ist, bei allen Frechheiten, die er sich herausnimmt. Kitty hat wie der Dschinn eine starke Persönlichkeit, aber sie besitzt etwas, dass die beiden anderen nicht haben: Freiheit. Bartimäus bewundert sie, Nathanael hingegen verachtet sie - zunächst.

WD: Nichtsdesdotrotz bringt sie das in eine Menge Schwierigkeiten. Abgesehen davon, dass ausgerechnet ein Gleichaltriger sie als Verbrecher und Landesverräter dingfest machen will, geht der große Coup mit ihrer Widerstandsgruppe nach hinten los.

Stroud: Um nicht zuviel verraten zu wollen: William Gladstone wird eine große Rolle spielen. Eine meiner beiden Lieblingsszenen in diesem Buch ist der Einbruch der Widerstandsbewegung in die Westminster Abtei, welche in dieser Welt nichts anderes als ein Grabmal ist, bei dem einiges schief läuft. Dennoch blamieren die Nichtmagiebegabten die Zauberer hier gründlich, auch wenn sie ein großes Problem verschafft haben.

WD: Und die andere Lieblingsszene?

Stroud: Das ist, wenn Bartimäus und Nathanael in geheimer Mission nach Prag reisen und sich dort auf dem Friedhof mit ihren Kontaktmann treffen. Prag ist eine geheimnisvolle Stadt und die Stimmung dort ist ganz anders als in London. Ich wollte es ein wenig gruseliger machen. Wie der Titel es vermuten lässt, kommt im Buch ein Golem vor, und der Mythos hat seinen Ursprung in der Goldenen Stadt. Vor allem den Fans aus Osteuropa, Österreich und Deutschland dürfte der Ausflug nach Prag gefallen, da diese Stadt dort mit ihrer Geschichte teilweise bekannter ist als es beim fernen London der Fall ist. Neben den Golem-Mythos greife ich auch den Werwolf-Mythos im zweiten Band ein wenig auf, dieser hat ja einen seiner Ursprünge in Deutschland.

WD: Hier scheint man sich schon mehr bekannten Mythen bedient zu haben. Da tut sich die Frage auf, ob es irgendwelche Zitate oder Referenzen in den Büchern gibt, die man vielleicht übersehen haben könnte. (Stroud lacht.)

Stroud: Abgesehen davon, dass ich hier und dort bekannte Namen eingestreut habe und auch meinen Schabernack mit bekannten historischen Figuren treibe, wollte ich aus keinem Charakter einen schrecklichen Zitator machen. Mit William Gladstone oder König Rudolf kommen historische Persönlichkeiten im neuen Gewand, auch Churchill wird erwähnt - und nicht umsonst tragen Charaktere im Buch Namen wie Meyrink oder Kavka.

WD: Und was ist mit der Kirche? Kann sie ein solch rücksichtloses Vorgehen der Magier dulden? Und wie sieht es mit anderen magiewirkenden Staaten aus?

Stroud: Die habe ich außen vor gelassen. Ich wollte eine Welt, in welche die Magie anerkannt ist, oder zumindest eine, in welche die Normalsterblichen damit abfinden müssen, dass Magie zu ihren Ungunsten praktiziert wird. Den asiatischen Bereich hab ich auch ausgeklammert - Japan beispielsweise wollte ich komplett nichtmagisch machen, dafür ist dieses Land führend in der Technologie. Man erkennt das auch in den Büchern, dass der Fortschritt hinterherhinkt, allein schon wenn man die Schiffe sieht, welche in ihrer Entwicklung irgendwo Anfang des 20. Jahrhunderts fest hängen. Schuld daran sind die Magier, welche erstens für alles ihre Dämonen benutzen und zweitens die Normalsterblichen nicht frei handeln lassen.

WD: Was Sinn ergibt. Ein anderer interessanter Punkt, der sich wieder mehr mit Bartimäus befasst, sind dessen Beziehungen zu anderen Figuren abseits von Nathanael und Kitty. Mit Ptolemäus schien er sich sehr gut verstanden zu haben, mit seinem Widersacher Jabor weniger - und dann war dann noch Queezle, die zu Beginn von "The Golem's Eye" verdächtig nahe an das Bild einer guten Dschinnfreundin herankommt, ein wenig eigenen Freiraum und sogar eine ganze von Bartimäus' berüchtigten Fußnoten erhält, nur um dann vernichtet zu werden.

Stroud: Oh, Queezle (Stroud seufzt theatralisch), das nahmen mir die Fans ein wenig übel. Sie war anscheinend sehr beliebt. Ich wollte keine weibliche Version von unserem Lieblingsdschinn machen, und erst recht nicht so was wie seine Freundin. Ob das mit ihrer Vernichtung endgültig ist, überlege ich mir seitdem stark. Immerhin arbeite ich am dritten Teil. Gleiche Chancen, da wieder aufzutauchen, hat auch Jabor. In "Das Amulett von Samarkand" sollte er der typische geistlose Knecht sein, der lieber auf brutale Kraft setzt, also mehr das klassische Bild eines Dämonen. Dass sich Bartimäus einst sehr gut mit Ptolemäus verstanden hat, dürfte man schnell erkennen. Um einen Ausblick auf den dritten Teil zu liefern: Ptolemäus wird darin eine wichtige Rolle spielen.

WD: Mit was darf man denn sonst noch im abschließenden dritten Band, der schon Mitte nächstes Jahr in Großbritannien und den USA erscheinen soll, rechnen? (Erneut lacht Stroud.)

Stroud: Neugierig geworden, wie? Nun, ich kann sagen dass Kitty und Nathanael mehr miteinander zu tun haben werden, aber nicht so wie man es gleich bei solchen Aussagen denken mag. Nathanael ist dann noch mächtiger und noch rücksichtsloser. Er wird dann mehr und mehr zu dem, was Kitty bekämpfen will. Und mittendrin steht dann Bartimäus. Der Aufstand im Amerika und der drohende Zerfall des britischen Empire werden ebenfalls eine wichtige Rolle spielen.

WD: Amerika ist ein gutes Stichwort, Hollywood hat angefragt und möchte die Trilogie verfilmen. Worauf können wir uns freuen?

Stroud: Nun, das Produzententeam - die haben auch "Der englische Patient" und "Unterwegs nach Cold Mountain" organisiert - sucht eifrig nach dem passenden Drehbuchautor und Regisseur. Die Amerikaner hätten gerne einen amerikanischen Schauspieler für Bartimäus und möchten ihn, wenn er die Gestalt des Ptolemäus annimmt, älter darstellen. Er soll immer größer sein als Nathanael. Für die Rolle des Simon Lovelace kann ich mir Hugh Grant sehr gut vorstellen. Der würde perfekt passen.

WD: So wie man bei einer Beschwörung ein verbotenes Tor zur anderen Welt aufstößt, so in etwa sah auch die Diskussion zum Film aus. Man merkt, Interviewer und Autor haben mehr als einmal die Kinosessel gewärmt. Stroud erfuhr, wie es Kollegen wie Tad Williams handhaben, und dass auch Gary Oldman oder Jeremy Irons als Schurken denkbar sind, auf jeden Fall aber sollte die Schauspielerriege mit britischen Darstellern gespickt sein. Rowan Atkinson alias Mister Bean und Black Adder gäbe ein gutes Beispiel ab, wie man sich Bartimäus' Stimme vorstellen kann, aber auch als Underwood wäre der begnadete Schauspieler denkbar. Für Gladstone würde sich Stroud jemanden mit einer Präsenz wie Christopher Lee wünschen, den er sehr bewundert.

Auch das deutsche Hörbuch hat es ihm angetan. Stroud freute sich, dass mit Martin Semmelrogge ein sehr bekannter deutscher Schauspieler gefunden werden konnte - auch auf der Insel ist Semmelrogge wegen seiner Rolle in "Das Boot" bekannt - allerdings vertraut er aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse auf das Urteil des Interviewers, der ihm versichern konnte, dass besagter Sprecher wie die Faust aufs Auge passt.

Stroud: Das Gute an den Hörbüchern ist, dass man sich vieles dann leichter vorstellen kann. Zuhören erfordert weniger Konzentration als selber lesen zu müssen, und da kann man sich auch gut entspannen. Und immer wieder gut zu wissen, wie sich Schauspieler die Stimm- und Gefühlslage der einzelnen Charaktere vorstellen.

Interview von Wilhelm Drutzel
Mit freundlicher Genehmigung © Fantasy-Portal "Roter Dorn"