Faszination Bartimäus

Gespräch mit dem Verleger Klaus Eck
über Jonathan Stroud und über den Bartimäus-Erfolg (2008)

 

Gegen Ende der Formel wuchs und dehnte sich meine Gestalt, bis sie schließlich aus dem Kreis herausragte. In den Ebenen öffnete sich eine Tür nach der anderen und lud mich ein hindurchzutreten. Ich verwandelte mich in eine dicke, bis zur Decke brodelnde Rauchsäule und erfüllte das Zimmer, das für mich von Augenblick zu Augenblick unwirklicher wurde …

 

„Der Begriff ‚All-Age’ beschreibt das neue Phänomen – wenn denn nicht schon Mark Twain etwa bewiesen hat, dass es so neu gar nicht ist“, sagt Klaus Eck, Verleger der deutschen Random-House-Verlage. „Immer mehr Jugendbücher tauchen auf den Belletristik-Bestsellerlisten auf und werden auch von Erwachsenen gelesen. Also machen sich die Verlage natürlich Gedanken darüber, wie sie auch Erwachsene mit diesen Titeln ansprechen können. Dabei ist sicher der Weg vom Buchangebot für Erwachsene, das auch Jugendliche nutzen, leichter als umgekehrt. Kinder- und Jugendliteratur bildet immer noch eine Enklave: in den Verlagen, in den Buchhandlungen, in den Medien und dementsprechend auch bei den Lesern.“

Den Weg von der Belletristik zum Bestseller auch für Jugendliche skizziert Klaus Eck am Beispiel von Douglas Adams (Per Anhalter durch die Galaxis) oder den Büchern von Terry Pratchett. Doch Bartimäus zeigt, es geht auch anders herum: Erschienen bei cbj, also in einem klassischen Jugendbuchverlag, und doch auch von Erwachsenen verschlungen.

 

Was ist das Besondere an Bartimäus?

„Ein wunderbarer und gewiefter Erzähler. Scharfzüngig, voll trockenem Humor, temporeich wie ein Film, ironisch und manchmal auch mit einer Prise Zynismus. Man hat augenblicklich eine ganz eigene Welt vor sich. Zwei liebenswert-böse Helden. Und man versteht sofort den Witz dieser originellen Meister-Schüler-Variante.“

Klaus Eck erzählt von seiner Lesebiografie: Astrid Lindgren, Enid Blyton und „mit zwölf in einem Jahr den halben Karl May gefressen. Das sind Ur-Leseerlebnisse. Man wächst in Welten hinein, die Figuren werden zu Freunden. Das eben gelingt auch Jonathan Stroud mit seinem Nathanael und mit Bartimäus. Dazu die klugen Gegenwartsbezüge zur Politik: Ein Premierminister als Bösewicht, geldgierige und machtbesessene Minister. Da schwingt ein aktueller, kritischer Subtext mit. Und Stroud schafft es, den alten Dämonenmythos gleichsam in die Gegenwart zu übersetzen – man hat es hier weniger mit altmeisterlicher schwarzer Magie, sondern eher, mit den Worten des Films ausgedrückt, mit ‚Spezialeffekten’ zu tun.“ Der große Verkaufserfolg und das einheilige Kritikerlob haben Klaus Eck und die Kollegen vom Jugendbuch bestätigt.

Wenn meinungsbildende Medien unisono ein Buch in den Himmel loben, wie das mit Bartimäus geschehen ist, dann suchen allerdings die Fachzeitschriften gerne Schwachstellen. Hier jedoch stimmten auch sie in den Chor der Begeisterung mit ein. Und die Nominierung für den Deutschen Jugendliteraturpreis, die Corine und viele andere Auszeichnungen unterstreichen die Qualitäten des Fantasy-Schmökers.

 

Die seit Langem originellste Romanfigur

Wann gab es das: Ein Ich-Erzähler, der sich in eine brodelnde Rauchsäule verwandelt? Jonathan Stroud hat wohl die seit Langem originellste Romanfigur erfunden: einen gewitzten Dämon, der seit 5000 Jahren in die Weltgeschichte eingreift und nun Nathanael, einem jungen Magier, gehorchen muss.

„Stroud ist ein ehemaliger Kollege von uns. Er hat als Verlagslektor in London gearbeitet, um dann von dieser Hebammen-Funktion zur eigenen Geburt zu finden, indem er in das originäre Fach des Autors hinüberwechselte. Jonathan ist in der Tat ein geborener Erzähler: Er versteht in jeder Hinsicht etwas vom Fach. Also nicht nur, wie man beispielsweise einen großen Spannungsbogen baut, sondern auch, wie man einen Roman schreibt, der generationsübergreifend mit seinen Charakteren Leser fesselt. Als ich Jonathan Stroud persönlich kennenlernte, traf ich auf einen sehr sympathischen, eher schüchternen jungen Engländer, der aber anschaulich den Entstehungsprozess seiner Texte zu schildern wusste. Ich kann ihn mir gut vorstellen, wie er sich in seine eigene Welt zurückzieht, die in ihm entstanden ist, in der er lebt und formuliert“, berichtet Klaus Eck.

 

Böse Magier und widerwillige Dämonen

Jonathan Strouds Kernidee bestand darin, eine Geschichte über Magie zu schreiben, in der die üblichen Regeln umgekehrt werden. Demnach änderte er die normalerweise mehrheitlich guten menschlichen Magier in Bösewichte, die sich von gewöhnlichen Menschen nur dadurch unterscheiden, dass sie in ihrer Kindheit ausgebildet wurden, Dämonen zu beschwören. Ohne Hilfe dieser Geister, die widerwillige Sklaven sind, könnte Nathanael ebenso wie alle seine Kollegen nicht zaubern. Er kann lediglich magische Taten befehlen, die – auch wenn sie einem guten Zweck dienen – moralisch fragwürdig sind, da sie doch unfreiwillig geleistet werden. Der Held des Romans ist ein solcher Sklave, der Dschinn Bartimäus. Die Beziehung zwischen Bartimäus und Nathanael – beide sind keine rechtschaffenen Helden, sondern moralisch zwiespältig – bezeichnet Stroud als ‚Dynamo’ des Buches. Aus anfänglichem Abscheu wird später gegenseitiger Respekt.

 

Kleine Geschenke

Als Schauplatz wählte Stroud im Gegensatz zu den Autoren, die Fantasyabenteuer in Fantasiewelten spielen lassen, ein realistisches Ambiente. Er mischte Magie mit Alltag, in dem die Politiker böse Zauberer sind. Eine weitere Besonderheit bilden die Fußnoten: Bereits als Stroud die erste Szene, Bartimäus’ Materialisierung in Nathanaels Schlafzimmer, schrieb, fügte er Fußnoten hinzu, die zum Dschinn – dessen Verstand auf mehreren Ebenen gleichzeitig arbeitet – insofern gut passen, als er aus jahrtausendealter Erfahrung sehr viel weiß und dieses Wissen – ohne seine Erzählung aufzublähen – als witzige Extrainformation hinzufügen kann. Lektoren verzweifeln normalerweise über das den Lesefluss bremsende Kleingedruckte. Hier jedoch sorgt es für Humor und Durchblick. „Kleine Geschenke am Ende der Seite“, nennt sie Jonathan Stroud.

 

Literarische Vorbilder

Als 10-Jähriger las Stroud Der Herr der Ringe, was ihn sehr beeindruckte. Danach las er jahrelang viel Fantasy und Feengeschichten, entwickelte Fantasy-Brett- und –kartenspiele. Stroud bewundert Stevensons Schatzinsel, weil es ein einfaches, aber unter der Oberfläche komplexes Buch sei, das sowohl Kinder als auch Erwachsene fasziniere. Wie Stevenson es mit Long John Silver macht, möchte auch Stroud mit seinen Protagonisten moralische Fragen, Gut und Böse aufzeigen und Figuren schaffen, die einerseits schlecht, andererseits anziehend sind. Dies sind nur einige wenige Elemente, die die Basis für Bartimäus bilden.

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