Topseller vom Reißbrett?

Jonathan Stroud im Börsenblatt vom 9. September 2004

 

Alle Verleger und die meisten Autoren wünschen sich, dass ihre Bücher zu Bestsellern werden. Die Verleger stehen im Wettbewerb, und ein Bestseller bedeutet schlicht kommerziellen Erfolg. Aus Verlegersicht ist es deshalb in Ordnung, dieses Ziel offen und mit Nachdruck zu verfolgen. Für Autoren ist es nicht ganz so einfach. Viele Faktoren führen dazu, dass ein Buch zum Bestseller wird: die Qualität des Textes, der Umfang und die Durchsetzungskraft des Marketings, der Zeitpunkt der Veröffentlichung, konkurrierende Bücher, die Reaktionen der Medien usw. Die meisten dieser Faktoren kann der Autor nicht beeinflussen. Er kontrolliert nur einen Faktor, den wichtigsten: die Textqualität. Darauf muss er sich konzentrieren. Für alles andere kann er nur das Beste hoffen.

Ich glaube, dass Autoren falsch reagieren, wenn sie versuchen, Bestseller am Reißbrett zu entwerfen. Wie Irrlichter, die Wanderer vom Pfad abbringen und in gefährliche Moore führen, würde die Kenntnis über konstruierbare Bestseller den Autor von seiner Berufung ablenken. Sicher ist es möglich, sich mit einem bestimmten Genre auseinander zu setzen und danach eine "neue" Geschichte aus bewährten Themen, Charakteren, Erzählstrukturen, Spannungsbögen usw. zusammenzustellen. Das ist er dann, der Instant-Roman, der sich möglicherweise sogar gut verkauft. Aber es wird ein schlechtes Buch sein und sich nicht lange halten.

Ich schreibe Fantasy-Romane für Kinder und Jugendliche. Wie viele andere Autoren auch profitiere ich vom "Potter"-Phänomen und der Popularität, die Fantasy zurzeit genießt. Fantasy war schon vor "Potter" ein Genre, dessen Strukturen man kaum vermeiden konnte: Die meisten Bücher handeln von magischen Begegnungen zwischen Gut und Böse. Meine ersten drei in Großbritannien veröffentlichten Romane experimentieren mit Varianten davon: Mal ist die Magie mehrdeutig und ebenso psychologischer wie realer Natur, mal findet Fantasy nur im Kopf einer Figur statt. Die Verkaufszahlen blieben jedoch bescheiden. Als ich die Idee zu "Bartimäus" hatte, wusste ich, dass dies ein potenziell viel beliebterer Stoff ist: jede Menge Magie, Monster und Abenteuer. Die Herausforderung bestand darin, den Text anders als bei bereits bestehende Bestsellern zu schreiben. Nur mit einer herausragenden Stimme und einer ungewöhnlichen Figur würde die Trilogie überzeugen. Als Autor brachte ich mich in die Erzählerstimme von Bartimäus ein; er ist sarkastisch, witzig und moralisch ambivalent. Er verachtet Magier und blickt auf die Menschheit hinab. Sobald sich Bartimäus auf den Seiten materialisiert hatte, spürte ich, dass da etwas Neues war - diese Begeisterung versuchte ich dem Leser mitzuteilen.

Ich glaube, dass meine Treue zu diesem grundlegenden Impuls - meine eigene Leidenschaft im Text zum Ausdruck zu bringen - für den Erfolg des "Amuletts von Samarkand" verantwortlich ist. Sie hat meinem Verleger die Basis geboten, um darauf die Marketing-Aktionen aufzubauen. Inzwischen arbeite ich am dritten Band und versuche meine Leidenschaft und Anspannung bis zum Ende zu bewahren. Viel mehr kann ich als Autor nicht tun.

Mit freundlicher Genehmigung © Börsenblatt